Mit dem Herzen lernen

Wenn wir uns auf Spurensuche in der Bibel begeben, finden wir Erzählungen vom Lernen und vom Suchen nach Antworten.
Das Wort „lernen“ kann seiner ursprünglichen Bedeutung nach zurückgeführt werden auf „einer Spur nachgehen“ bzw. „nachspüren“: sich auf den Weg zu machen, um Neues oder Anderes zu erfahren. Mit dem Lernen kommt ein Prozess in Gang, der auf gemachten Erfahrungen aufbaut und dadurch Verhaltensänderungen ermöglicht.
Die Bibel ist voller Erzählungen solcher Lebens- und Grenzerfahrungen und auch voller Lern- und Beziehungserfahrungen mit Gott. Das Spektrum reicht von dem Gefühl der völligen Gottverlassenheit bis hin zum Eins-Sein mit Gott.
Gott suchen
In den Psalmen kommt diese Sehnsucht nach Gott auf einzigartige Weise zum Ausdruck: „Gott, du mein Gott, dich suche ich, meine Seele dürstet nach dir. Nach dir schmachtet mein Leib wie dürres, lechzendes Land ohne Wasser.“ (Ps 63,2)
Der Prophet Jeremia greift umgekehrt die Sehnsucht Gottes nach uns Menschen auf, wenn er den im Exil lebenden und verzweifelten Menschen die Hoffnung zuspricht:
„Wenn ihr mich sucht, werdet ihr mich finden. Ja, wenn ihr mich von ganzem Herzen sucht, will ich mich von euch finden lassen. Das verspreche ich euch.“ (Jer 29, 13–14a)
Sich von Gott finden lassen
Dieses Versprechen, das ein Gewahrwerden von Gottes Gegenwart zusagt, garantiert selbstverständlich nicht, lebens- oder verhaltensverändernde Erfahrungen zu machen. Aber es ermutigt, unablässig lernfähig zu bleiben, der Spur Gottes im eigenen Leben nachzugehen und sich zu öffnen, um sich von Gott finden zu lassen.
So wie es dem Zöllner Levi widerfuhr, als ihn Jesus ansprach und in seinem Haus zu Gast war. Zu den aufgebrachten Schriftgelehrten sagte Jesus: „Geht und lernt, was es heißt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer! Denn ich bin nicht gekommen, um Gerechte zu rufen, sondern Sünder. “ (Mt 9,13)
Lernen als geistliche Haltung
Das biblische Menschenbild zeichnet den Menschen als fähig, Gott zu erkennen, ja sogar ihm ähnlich zu werden. Lernen gehört also zur Conditio humana, zur menschlichen Verfasstheit. Die Haltung, selbst lernfähig zu sein, beinhaltet aber auch einen Willensakt. „Ich möchte lernen, um …
1) mehr über die Welt zu erfahren
2) meine Mitmenschen besser zu verstehen
3) dem Göttlichen näher zu kommen.“
Lernen heißt lebendig sein
Diese drei Lernrichtungen sind nur Überschriften über viele Einzelschritte des Lernens, die uns im Laufe eines Menschenlebens immer wieder zu neuen Ufern aufbrechen lassen. Oder eben nicht. Das Gegenteil von Lernen ist Verschlossenheit, Selbstzufriedenheit, Selbstgenügsamkeit, die zu Hochmut führen können.
Auch als steirische Kirche müssen wir gerade sehr offen sein für Neues. Mut auszuprobieren und sich gegenseitig beim Lernen zu unterstützen mit einem weiten, geduldigen Herzen, ist angesagt. Kinder lernen unter Druck, um Leistung abzuliefern, aber sie lernen mit Interesse und Freude, wenn die Atmosphäre eine helfende und offene ist. Nur Zweiteres ist fruchtbar für das weitere Leben. So ist es auch für das Lernen als Gemeinschaft der Kirche.
Versuche jeden Tag etwas Neues
Lebendig bleibe ich, wenn ich glaube, dass ich jeden Tag etwas entdecken kann, was ich davor noch nicht wusste. Lebendig bleibe ich, wenn ich meinen Mitmenschen zutraue, für mich eine Erkenntnisquelle zu sein. Lebendig bleibe ich schließlich, wenn ich dafür offen bin, jeden Tag ein kleines Stück mehr von Gottes Größe zu begreifen.
Inge Lang und Marlies Prettenthaler-Heckel sind Referentinnen für Verkündigung und Glaube im Fachbereich Pastoral & Theologie.