Die Freiheit die ich meine ….

Im Artikel 11 der EU-Grundrechte-Charta heißt es: „Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung.“ Die sogenannte „Meinungsfreiheit“ ist ein sehr hohes Rechtsgut, sichert sie doch zu, eine Meinung äußern zu können, ohne Repressionen fürchten zu müssen.
Zwei Fehlinterpretationen dieses „Rechts auf freie Meinungsäußerung“ konnte ich bei Auseinandersetzungen rund um die Corona-Pandemie sehr häufig beobachten. Zum einen empfinden es Menschen als Einschränkung ihrer „Meinungsfreiheit“, wenn andere ihrer Meinung nicht folgen – was zu so grotesken Situationen führt, dass Menschen bei lautstarken Demonstrationen Plakate mitführen, auf denen steht: „Wir werden mundtot gemacht“.
Zum anderen glauben Menschen, dass sie auch in ihrer beruflichen Rolle jederzeit ihre private Meinung öffentlich kundtun dürften, ohne mit Konsequenzen rechnen zu müssen. Erfahren sie Konsequenzen, erachten sie das als Ungerechtigkeit und Verstoß gegen die Meinungsfreiheit.
Doch was für die Freiheit im Allgemeinen gilt, gilt für die Meinungsfreiheit im Besonderen: Meine Freiheit stößt an Grenzen, wenn sie auf die Freiheit des anderen trifft. Reife Menschen wissen darum, dass persönliche Freiheit und die Freiheit einer Gesellschaft andauernde (demokratiepolitische) Ausverhandlungsprozesse erfordern. Sich dabei mit der eigenen Meinung einzubringen ist wichtig. Ebenso wichtig ist es zu verstehen, dass die eigene Meinung nur ein Mosaikstein im Ganzen der Meinungsbildung ist und nicht die ganze Wahrheit.
Helmut Kirchengast