Jenen, die Leid zufügen, verzeihen: ein Werk der Barmherzigkeit
Ja, aber…
Die Werke der Barmherzigkeit stellen uns vor unterschiedlich eine große oder kleine Herausforderungen. „Kranke besuchen“ oder „Trauernde trösten“ beispielsweise können, müssen aber keine wirkliche Anstrengung für uns bedeuten. Anders sieht das schon mit „jenen, die Leid zufügen, verzeihen“ aus. Diese Aufforderung scheint uns im ersten Augenblick ordentlich gegen den Strich zu gehen. Tief physisch oder psychisch verletzt, ist der Gedanke, dem anderen seine Handlung oder Unterlassung zu verzeihen, eine Provokation.
Vielleicht hilft aber der Blick auf die Alternative: nicht verzeihen. Was bedeutet das? Werde ich dadurch glücklicher, freier, zufriedener? Verhilft mir das Nicht-Verzeihen zu einem erfüllteren Leben? Vielmehr bleibt gerade dadurch eine Bindung zu jener Person bestehen, die einen einschränkt und auch die Beziehungen zur Familie und zu Freunden letztlich beeinträchtigt. Die Aufforderung des Apostel Paulus hilft somit auch dem, der verzeihen kann, zu mehr Leben: „Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute!“ (Röm 12,21)
So wie Jesus…
Die Bereitschaft, zu verzeihen und das Vermögen, es zu tun, sind Zweierlei. Daher ist es ein Geschenk der Gnade, wenn es uns tatsächlich gelingt, jemanden, der einem Leid zugefügt hat, zu verzeihen. Der Blick auf Jesus und seinem Verzeihen kann helfen, dass auch wir dazu fähig werden. Bei seiner Festnahme leistete er keine Gegenwehr und verbot sie seinen Jüngern (Lk 22,51).
Im Verhör vor Kaiphas (Joh 18,23) und Pontius Pilatus (Mk 15,1-4) nahm er nur geltendes Recht in Anspruch. Er begehrte keine Rache, sondern bat Gott noch am Kreuz um Vergebung für seine Mörder (Lk 23,34) und solidarisierte sich mit allen Unrecht Leidenden (Mk 15,34). Leicht ist und bleibt das Verzeihen dennoch nicht. Vor allem dann, wenn man das Gegenüber ernst nimmt und ihn und sein Tun nicht kleinredet, um sich das Verzeihen leichter zu machen.
Wo bleibt die Gerechtigkeit?
Wie gehen Barmherzigkeit und Gerechtigkeit zusammen? Diese Frage stellt sich bei der Aufforderung „jenen, die Leid zufügen, verzeihen“ in besonderer Weise. Innerweltlich lässt sich diese Spannung kaum lösen – und uns bleibt nur das Vertrauen auf Gottes sowohl barmherziges als auch gerechtes Handeln. Das Ringen Hiobs mit Gott, seine Klagen und Anklagen angesichts seines unverschuldeten Leids finden mit dem Verweis auf Gottes Weisheit und Macht eine Antwort, die Hiob erkennen lässt: „Ich hab erkannt, dass du alles vermagst; kein Vorhaben ist dir verwehrt. Wer ist es, der ohne Einsicht den Rat verdunkelt? So habe ich denn im Unverstand geredet über Dinge, die zu wunderbar für mich und unbegreiflich sind.“ (Hi 42,2f)
Text: Barbara Krotil